Branchen-Ratgeber

Automatisierung in Produktion & Industrie: Beispiele für den Mittelstand

Konkrete Automatisierungsbeispiele für Fertigung, Lager und Logistik. Von Qualitätskontrolle bis Predictive Maintenance – so profitiert der Mittelstand.

10 Min. Lesezeit·Aktualisiert: 6.12.2025

Automatisierung in der Produktion ist längst nicht mehr nur ein Thema für Großkonzerne. Auch mittelständische Fertigungsbetriebe, Handwerksbetriebe mit Serienproduktion und Logistikunternehmen können von modernen Automatisierungslösungen profitieren – oft mit überschaubaren Investitionen.

In diesem Artikel zeigen wir Ihnen konkrete Automatisierungsbeispiele aus Fertigung, Lager und Logistik, die sich auch für KMU eignen. Von der digitalen Qualitätskontrolle bis zur vorausschauenden Wartung – diese Lösungen sparen Zeit, reduzieren Fehler und steigern die Wettbewerbsfähigkeit.

Wichtig: Industrie 4.0 bedeutet nicht, alles auf einmal zu digitalisieren. Erfolgreiche Unternehmen starten mit einzelnen, klar definierten Projekten und skalieren dann schrittweise.

Industrie 4.0 kurz erklärt

Bevor wir in die Beispiele einsteigen: Was bedeutet Industrie 4.0 eigentlich?

Die vier industriellen Revolutionen:

  1. Mechanisierung (Dampfmaschine)
  2. Massenproduktion (Fließband)
  3. Automatisierung (Computer, Roboter)
  4. Vernetzung (Internet of Things, Daten)

Industrie 4.0 = Vernetzung: Maschinen kommunizieren untereinander, Daten fließen in Echtzeit, und Entscheidungen werden zunehmend automatisiert getroffen.

Für den Mittelstand relevant:

  • Nicht die vollständige "Smart Factory"
  • Sondern gezielte Digitalisierungsprojekte
  • Mit messbarem ROI
  • Und überschaubarer Komplexität

Automatisierung in der Fertigung

Die Fertigung bietet enormes Automatisierungspotenzial – von der Qualitätsprüfung bis zur Maschinenwartung.

Beispiel 1: Digitale Qualitätskontrolle

Das Problem: Qualitätsprüfungen werden manuell mit Papier-Checklisten durchgeführt. Daten sind schwer auswertbar, Fehler werden spät erkannt.

Die Lösung: Digitale Checklisten auf Tablets mit automatischer Dokumentation. Bei Abweichungen erfolgt sofortige Eskalation.

Konkret:

  • Prüfer nutzt Tablet-App statt Papier
  • Prüfpunkte mit Fotos dokumentiert
  • Messwerte automatisch gegen Toleranzen geprüft
  • Bei "nicht OK": Sofortige Benachrichtigung an Teamleiter
  • Reports automatisch generiert und archiviert

Typische Tools: Lumiform, iAuditor, Microsoft Power Apps

Investition: 50-200€/Monat für Software, einmalig Tablets

Ersparnis: 50% weniger Dokumentationszeit, 30% schnellere Fehlererkennung

Beispiel 2: Maschinenüberwachung in Echtzeit

Das Problem: Der Maschinenstatus ist nur vor Ort erkennbar. Stillstände werden erst bemerkt, wenn es zu spät ist.

Die Lösung: Sensoren erfassen Maschinenstatus und senden Daten an ein zentrales Dashboard. Alarme bei Abweichungen.

Konkret:

  • Einfache Sensoren (Strom, Vibration, Temperatur)
  • Daten per WLAN an Cloud-Dashboard
  • Echtzeit-Anzeige: Läuft/Stillstand/Warnung
  • Push-Benachrichtigung bei Problemen
  • Historische Auswertung der Verfügbarkeit

Typische Tools: IoT-Plattformen (Siemens MindSphere, Microsoft Azure IoT), einfachere Lösungen wie Seebo oder Tulip

Investition: 500-2.000€ pro Maschine (Hardware + Setup)

Ersparnis: 15-25% weniger ungeplante Stillstände

Beispiel 3: Predictive Maintenance

Das Problem: Wartung erfolgt nach starren Intervallen (alle 1.000 Stunden) – entweder zu früh (verschwendete Kapazität) oder zu spät (Ausfall).

Die Lösung: Sensordaten werden analysiert, um den optimalen Wartungszeitpunkt vorherzusagen.

Konkret:

  • Kontinuierliche Messung von Verschleißindikatoren
  • KI-Modell erkennt Muster vor Ausfällen
  • Automatische Wartungsempfehlung: "Lager wechseln in ca. 2 Wochen"
  • Integration in Wartungsplanung

Typische Tools: Spezialisierte Anbieter (Uptake, Augury) oder Eigenentwicklung mit Azure ML

Investition: Höher (10.000-50.000€ für Pilotprojekt), aber hoher ROI

Ersparnis: 20-40% weniger ungeplante Ausfälle, 10-20% geringere Wartungskosten

Lager & Logistik automatisieren

Im Lager und in der Logistik geht es um Geschwindigkeit und Genauigkeit. Diese Automatisierungen helfen:

Beispiel 4: Digitales Bestandsmanagement

Das Problem: Lagerbestände werden manuell gezählt, Excel-Listen sind veraltet, Inventurdifferenzen häufig.

Die Lösung: Barcode/QR-Scanning bei jedem Warenein- und -ausgang mit Echtzeit-Bestandsanzeige.

Konkret:

  • Jeder Artikel hat Barcode/QR-Code
  • Mobile Scanner oder Smartphone-App
  • Wareneingang: Scan → Bestand erhöht sich
  • Warenausgang: Scan → Bestand reduziert sich
  • Echtzeit-Dashboard mit Beständen
  • Automatische Warnung bei Mindestbestand

Typische Tools: Einfache Lösungen (Sortly, Airtable), WMS-Systeme für größere Lager

Investition: 50-500€/Monat je nach Umfang

Ersparnis: 90% genauere Bestände, 50% weniger Inventuraufwand

Beispiel 5: Kommissionierung mit Pick-by-Light/Voice

Das Problem: Kommissionierer suchen Artikel, machen Fehler beim Zählen, Pickzeiten sind hoch.

Die Lösung: Visuelle (Lichtanzeigen) oder akustische (Sprachanweisungen) Führung durch den Kommissionierprozess.

Konkret:

  • Pick-by-Light: LED-Anzeigen an Regalplätzen leuchten auf
  • Pick-by-Voice: Headset gibt Anweisungen, Bestätigung per Sprache
  • Optimierte Pickreihenfolge (kürzeste Wege)
  • Automatische Mengenkontrolle

Typische Tools: Spezialisierte Hardware-Anbieter, oder einfacher: Tablet-geführte Kommissionierung

Investition: 10.000-50.000€ für Hardwarelösung, oder 500-2.000€/Monat für Softwarelösung

Ersparnis: 30-50% schnellere Kommissionierung, 90% weniger Pickfehler

Beispiel 6: Versandabwicklung automatisieren

Das Problem: Versandetiketten werden manuell erstellt, Tracking-Infos nicht konsequent kommuniziert, verschiedene Paketdienste bedeuten verschiedene Systeme.

Die Lösung: Zentrale Versandplattform, die alle Paketdienste bündelt und automatisch die beste Option wählt.

Konkret:

  • Auftrag → Automatische Paketdienstauswahl (Preis/Laufzeit)
  • Etikett wird automatisch generiert und gedruckt
  • Tracking-Nummer automatisch an Kunden
  • Status-Updates automatisch per E-Mail

Typische Tools: Sendcloud, Shippo, Shipstation

Investition: 50-200€/Monat

Ersparnis: 5-10 Minuten pro Sendung, Versandkosten-Optimierung bis 20%

Praxisbeispiel: Mittelständischer Produktionsbetrieb

Ein konkretes Beispiel zeigt, wie ein mittelständisches Unternehmen Automatisierung schrittweise eingeführt hat:

Ausgangssituation:

  • Metallverarbeitender Betrieb, 45 Mitarbeiter
  • 8 CNC-Maschinen, eigenes Lager
  • Hauptprobleme: Ungeplante Maschinenstillstände, unzuverlässige Lagerbestände, manuelle Qualitätsprotokolle

Phase 1 (Monat 1-2): Digitale Qualitätskontrolle

  • Einführung von Tablet-Checklisten für QS
  • Kosten: 3.000€ (Tablets + Software)
  • Ergebnis: 50% weniger Dokumentationszeit

Phase 2 (Monat 3-4): Bestandsmanagement

  • Barcode-System für Lagerbewegungen
  • Kosten: 5.000€ (Scanner + Software)
  • Ergebnis: Inventurdifferenz von 8% auf 1% reduziert

Phase 3 (Monat 5-8): Maschinenüberwachung

  • Sensoren an kritischen Maschinen
  • Kosten: 12.000€ (Hardware + Integration)
  • Ergebnis: 20% weniger ungeplante Stillstände

Gesamt-ROI nach 12 Monaten:

  • Investition: 20.000€
  • Ersparnis: 45.000€/Jahr
  • Amortisation: < 6 Monate

Integration in bestehende Systeme

Eine der größten Herausforderungen: Wie integriert man neue Automatisierungslösungen in bestehende IT-Landschaften?

Typische Systemlandschaft im Mittelstand:

  • ERP-System (SAP Business One, Microsoft Dynamics, SAGE)
  • Buchhaltung (DATEV, Lexware)
  • Verschiedene Excel-Listen
  • Eventuell MES (Manufacturing Execution System)

Integrationsoptionen:

Option 1: API-Integration

  • Moderne Systeme bieten Schnittstellen
  • Daten fließen automatisch
  • Aufwand: mittel bis hoch

Option 2: Middleware (Make, n8n, Zapier)

  • Verbindet Systeme ohne Programmierung
  • Flexibel und schnell
  • Gut für einfache bis mittlere Anforderungen

Option 3: RPA für Alt-Systeme

  • Software-Roboter bedienen Benutzeroberflächen
  • Ideal für Systeme ohne API
  • Keine Änderung am Altsystem nötig

Option 4: Export/Import

  • Manuelle oder zeitgesteuerte Dateiexporte
  • Einfachste Lösung, aber fehleranfällig

Empfehlung: Starten Sie mit Lösungen, die wenig Integration erfordern (z.B. eigenständige QS-App), und verbinden Sie diese schrittweise mit Kernsystemen.

Kosten für KMU

Was kostet Produktionsautomatisierung im Mittelstand realistisch?

Kategorie 1: Quick-Wins (< 5.000€)

  • Digitale Checklisten: 50-200€/Monat
  • Einfaches Bestandsmanagement: 100-300€/Monat
  • Versandautomatisierung: 50-200€/Monat
  • Einrichtungsaufwand: wenige Tage

Kategorie 2: Mittlere Projekte (5.000-30.000€)

  • Barcode-/RFID-Lagersystem: 5.000-15.000€
  • Basismaschinenüberwachung: 500-2.000€ pro Maschine
  • MES-Einführung (Einstieg): 15.000-30.000€

Kategorie 3: Komplexe Projekte (30.000€+)

  • Vollständige Lagerverwaltung (WMS): 30.000-100.000€
  • Predictive Maintenance: 20.000-80.000€
  • Pick-by-Light/Voice: 50.000-150.000€

Fördermöglichkeiten:

  • Digitalisierungsprämie der Länder (oft 50% Zuschuss)
  • KfW-Förderkredite
  • BAFA-Förderung für Effizienzmaßnahmen

Tipp: Prüfen Sie immer aktuelle Förderprogramme – sie können die Investitionskosten um 30-50% senken.

Fazit

Automatisierung in Produktion und Logistik ist für mittelständische Unternehmen nicht nur machbar, sondern oft wirtschaftlich notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die gute Nachricht: Sie müssen nicht die komplette Smart Factory bauen.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Starten Sie mit klar definierten, überschaubaren Projekten
  • Digitale Qualitätskontrolle und Bestandsmanagement sind ideale Einstiegspunkte
  • Integration in bestehende Systeme ist lösbar
  • Förderprogramme können Investitionen erheblich reduzieren

Ihr nächster Schritt: Identifizieren Sie Ihren größten Schmerzpunkt in Produktion oder Lager. Ist es Qualitätsdokumentation? Bestandsgenauigkeit? Maschinenverfügbarkeit? Dort sollten Sie starten.

Bedenken Sie: Jede Automatisierung sollte sich innerhalb von 6-12 Monaten amortisieren. Wenn der Business Case nicht stimmt, ist das Projekt nicht reif – noch nicht.

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