Branchen-Ratgeber

Digitalisierung im Mittelstand: Der praktische Leitfaden

Wie mittelständische Unternehmen die Digitalisierung erfolgreich umsetzen. Mit konkreten Schritten, typischen Fehlern und Praxisbeispielen.

15 Min. Lesezeit·Aktualisiert: 6.12.2024

Die Digitalisierung im Mittelstand ist längst keine Option mehr, sondern überlebenswichtig. Während Großkonzerne eigene IT-Abteilungen haben, stehen mittelständische Unternehmen vor einer besonderen Herausforderung: Wie digitalisiert man effektiv mit begrenzten Ressourcen?

In diesem Leitfaden zeigen wir dir konkret, wo du anfangen solltest, welche Fehler du vermeiden musst und wie andere Mittelständler ihre Digitalisierung erfolgreich umgesetzt haben.

Was bedeutet Digitalisierung im Mittelstand eigentlich?

Digitalisierung bedeutet nicht, einfach ein paar Tools einzuführen. Es geht darum, Geschäftsprozesse grundlegend zu überdenken und mit digitalen Lösungen effizienter zu gestalten.

Für den Mittelstand heißt das konkret:

  • Prozesse automatisieren: Wiederkehrende Aufgaben wie Rechnungsstellung, Bestellwesen oder Reporting automatisch ablaufen lassen
  • Daten zentral verfügbar machen: Keine Excel-Listen mehr, die auf verschiedenen Rechnern liegen
  • Kundenservice verbessern: Schnellere Reaktionszeiten durch digitale Tools
  • Neue Geschäftsmodelle ermöglichen: Digitale Produkte oder Services als Ergänzung zum Kerngeschäft

Die 5 größten Digitalisierungs-Fehler im Mittelstand

Bevor wir zu den Lösungen kommen, hier die häufigsten Fehler, die wir bei mittelständischen Unternehmen sehen:

1. Zu viel auf einmal wollen

Der klassische Fehler: Ein Unternehmen kauft ein teures ERP-System, will gleichzeitig CRM einführen, die Website neu machen und noch eine App entwickeln. Das Ergebnis? Überforderung, Frust und halbfertige Projekte.

Besser: Mit einem Bereich starten, dort Erfolge erzielen, dann erweitern.

2. Die Mitarbeiter nicht mitnehmen

Jede Software ist nur so gut wie die Menschen, die sie nutzen. Wenn dein Team die neuen Tools ablehnt oder nicht versteht, war die Investition umsonst.

Besser: Mitarbeiter früh einbinden, Schulungen einplanen, Feedback ernst nehmen.

3. Auf den falschen Anbieter setzen

Viele Mittelständler kaufen Lösungen von großen Anbietern, die eigentlich für Konzerne gedacht sind. Die Folge: Zu komplex, zu teuer, zu unflexibel.

Besser: Lösungen wählen, die für eure Unternehmensgröße gemacht sind.

4. IT-Sicherheit vernachlässigen

Mit der Digitalisierung steigt auch das Risiko für Cyberangriffe. Gerade der Mittelstand ist ein beliebtes Ziel, weil hier oft weniger in Sicherheit investiert wird.

Besser: IT-Sicherheit von Anfang an mitdenken, nicht erst wenn es zu spät ist.

5. Kein klares Ziel definieren

"Wir müssen digitaler werden" ist kein Ziel. Ohne konkrete, messbare Ziele weißt du nicht, ob deine Digitalisierung erfolgreich ist.

Besser: Konkrete KPIs definieren. Zum Beispiel: "Bearbeitungszeit für Kundenanfragen von 48 auf 4 Stunden reduzieren."

Wo sollte der Mittelstand mit der Digitalisierung anfangen?

Die Antwort hängt von deinem Unternehmen ab, aber es gibt Bereiche, die fast immer den größten Hebel haben:

Buchhaltung und Rechnungswesen

Der Quick Win für fast jedes Unternehmen. Moderne Buchhaltungssoftware wie DATEV, Lexoffice oder sevDesk spart sofort Zeit und reduziert Fehler.

Typische Einsparung: 5-10 Stunden pro Woche

Kundenmanagement (CRM)

Wenn Kundeninformationen in verschiedenen Köpfen, E-Mail-Postfächern und Excel-Listen verstreut sind, gehen Chancen verloren. Ein CRM-System wie HubSpot, Pipedrive oder Salesforce schafft Überblick.

Typische Verbesserung: 20-30% mehr Abschlüsse durch besseres Follow-up

Interne Kommunikation

E-Mail-Flut und verpasste Informationen kosten täglich Zeit. Tools wie Microsoft Teams, Slack oder Google Workspace machen die Kommunikation effizienter.

Typische Einsparung: 1-2 Stunden pro Mitarbeiter pro Tag

Dokumentenmanagement

Wo liegt nochmal die aktuelle Version des Vertrags? Mit einem DMS (Document Management System) gehört diese Frage der Vergangenheit an.

Typische Verbesserung: 80% weniger Suchzeit für Dokumente

Der 6-Schritte-Plan zur Digitalisierung

So gehst du die Digitalisierung systematisch an:

Schritt 1: Ist-Analyse durchführen

Bevor du investierst, musst du verstehen, wo du stehst:

  • Welche Prozesse laufen aktuell wie ab?
  • Wo entstehen die meisten Probleme?
  • Welche Tools werden bereits genutzt?
  • Wie digital-affin ist dein Team?

Tipp: Sprich mit deinen Mitarbeitern. Sie wissen am besten, wo es hakt.

Schritt 2: Ziele und Prioritäten setzen

Basierend auf der Analyse definierst du:

  • Was soll die Digitalisierung konkret verbessern?
  • Welcher Bereich hat den größten Hebel?
  • Was ist realistisch in den nächsten 6-12 Monaten?

Beispiel: "Wir wollen die Durchlaufzeit von Kundenaufträgen um 50% reduzieren, indem wir den Angebotsprozess digitalisieren."

Schritt 3: Budget und Ressourcen planen

Digitalisierung kostet Geld und Zeit. Plane realistisch:

  • Software-Lizenzen (meist monatliche Kosten)
  • Implementierung und Anpassung
  • Schulungen für Mitarbeiter
  • Laufende Wartung und Support

Faustregel: Plane 30% mehr Zeit ein als du denkst. Es dauert immer länger.

Schritt 4: Die richtigen Partner finden

Für die meisten Mittelständler macht es Sinn, sich externe Unterstützung zu holen:

  • Für Standardsoftware: Zertifizierte Partner des Anbieters
  • Für individuelle Lösungen: Erfahrene Softwareagenturen
  • Für die Strategie: Digitalisierungsberater

Wichtig: Referenzen prüfen. Hat der Partner Erfahrung mit Unternehmen eurer Größe und Branche?

Schritt 5: Pilotprojekt starten

Starte nicht mit dem größten Projekt, sondern mit einem überschaubaren Piloten:

  • Klein genug, um bei Problemen korrigieren zu können
  • Groß genug, um echten Nutzen zu zeigen
  • Mit einem Team, das offen für Veränderung ist

Nach dem Piloten: Lessons Learned dokumentieren und für die nächsten Projekte nutzen.

Schritt 6: Skalieren und kontinuierlich verbessern

Nach einem erfolgreichen Piloten rollst du die Lösung aus und gehst die nächsten Bereiche an. Digitalisierung ist kein Projekt mit Enddatum, sondern ein kontinuierlicher Prozess.

Kosten und Förderungen

Was kostet Digitalisierung und welche Unterstützung gibt es?

Was kostet Digitalisierung?

Die Kosten variieren stark, aber hier sind realistische Richtwerte:

| Maßnahme | Kosten (einmalig) | Kosten (monatlich) |

|----------|-------------------|-------------------|

| Cloud-Buchhaltung | 0-500€ | 20-100€ |

| CRM-System | 500-5.000€ | 50-200€/Nutzer |

| DMS-System | 1.000-10.000€ | 30-100€/Nutzer |

| Individuelle Software | 10.000-100.000€+ | Wartung: 15-20%/Jahr |

| ERP-System | 20.000-200.000€+ | 100-500€/Nutzer |

Förderprogramme nutzen

Es gibt zahlreiche Förderprogramme für die Digitalisierung im Mittelstand:

  • go-digital: Bis zu 16.500€ Förderung für Beratung und Umsetzung
  • Digital Jetzt: Bis zu 50.000€ für digitale Technologien und Qualifizierung
  • Länderprogramme: Bayern, NRW, Baden-Württemberg und andere haben eigene Programme

Tipp: Fördermittel müssen meist VOR Projektstart beantragt werden. Erst informieren, dann beauftragen.

Praxisbeispiele

Wie andere Mittelständler ihre Digitalisierung erfolgreich umgesetzt haben:

Handwerksbetrieb digitalisiert Auftragsabwicklung

Ausgangslage: Ein Handwerksbetrieb mit 25 Mitarbeitern verwaltete Aufträge mit Papier und Excel. Angebote dauerten 3 Tage, Rechnungen wurden oft vergessen.

Lösung: Einführung einer branchenspezifischen Software für Auftragsmanagement, mobile Zeiterfassung für Monteure, digitale Unterschrift für Kunden.

Ergebnis: Angebote in 2 Stunden statt 3 Tagen, 100% Rechnungsstellung, 15% mehr Umsatz durch bessere Kapazitätsplanung.

Großhändler automatisiert Bestellwesen

Ausgangslage: Bestellungen kamen per Telefon, Fax und E-Mail. Die Erfassung war fehleranfällig und zeitaufwändig.

Lösung: B2B-Webshop mit Anbindung an das Warenwirtschaftssystem, automatische Auftragsbestätigung und Lieferstatus-Updates.

Ergebnis: 60% der Bestellungen laufen automatisch, Fehlerquote von 5% auf 0,5% gesunken, Kunden zufriedener durch Selbstbedienung.

Maschinenbauer führt Predictive Maintenance ein

Ausgangslage: Wartung der verkauften Maschinen erfolgte nach festen Intervallen oder wenn etwas kaputt ging.

Lösung: IoT-Sensoren in den Maschinen, die Daten in eine Cloud-Plattform senden. KI erkennt Verschleiß bevor es zum Ausfall kommt.

Ergebnis: 40% weniger ungeplante Ausfälle bei Kunden, neues Geschäftsmodell "Wartung as a Service" mit wiederkehrenden Einnahmen.

Checkliste: Ist dein Unternehmen bereit?

Beantworte diese Fragen ehrlich:

  • Gibt es eine klare Verantwortlichkeit für Digitalisierung im Unternehmen?
  • Ist die Geschäftsführung bereit, Zeit und Budget zu investieren?
  • Sind die wichtigsten Prozesse dokumentiert?
  • Gibt es Mitarbeiter, die offen für Veränderungen sind?
  • Ist die IT-Infrastruktur (Internet, Hardware) ausreichend?
  • Wurden Datenschutz und IT-Sicherheit bedacht?

Je mehr Fragen du mit "Ja" beantwortest, desto besser sind eure Voraussetzungen.

Fazit

Die Digitalisierung im Mittelstand muss nicht kompliziert oder teuer sein. Der Schlüssel liegt darin:

  1. Klein anfangen: Einen Bereich wählen, dort erfolgreich sein
  2. Mitarbeiter mitnehmen: Schulung und Einbindung sind entscheidend
  3. Richtige Partner wählen: Nicht alles selbst machen wollen
  4. Dranbleiben: Digitalisierung ist ein Marathon, kein Sprint

Der beste Zeitpunkt zum Starten war gestern. Der zweitbeste ist heute.

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